von Iris Haist
Beitrag zur Blogparade #innovationen,
ausgerichtet vom Zeppelin Museum Friedrichshafen 2018
Abb.1: Tampax-Werbung aus den Jahren um 1965, Detail
Am Anfang steht die Biologie des Menschen, genauer gesagt, der Frau. Einmal im Monat erwischt es jedes weibliche Wesen: die Periode. Keine Angst, ich möchte an dieser Selle keine trockene Lehrstunde halten oder mit blutigen Details schockieren. Doch trotz seines Nutzens, ist das Thema „Damenhygieneartikel“, wie die Unaussprechlichkeit des Wortes schon andeutet, noch heute, im Jahr 2018, ein gesellschaftliches Tabu. Bekommt frau ihre Tage zu früh und unvorbereitet, traut sie sich kaum, die Kollegin im Büro nebenan nach Aushilfe zu fragen. Und wenn doch, wird die Stimme im Normalfall ganz leise und unsicher. Dass es sich in Deutschland angeblich nicht um „Güter des täglichen Bedarfs“ handelt, kann man am Mehrwertsteuersatz von 19% (!) ablesen. Auf die Innovation des Tampons (frz. für „Pfropf“ oder „Bausch“), sollte nun endlich auch in diesem Bereich die Befreiung der Frau durch einen offenen Umgang mit ihrem Körper und den nötigen Hilfsmitteln folgen. Doch gehen wir einen Schritt zurück ...
Abb.2: Tampon mit Iris ... , Screenshot, Instagram #tamponsinbeautyfulplaces
One Step Back – die Erfindung des Tampons
Die Erfindung und die Massenproduktion des Tampons war eine Innovation, die Frauen damals befreite und heute, fast 80 Jahre nach der ersten Patentanmeldung durch den amerikanischen Arzt Earle Cleveland Haas, noch immer nichts an seiner Wichtigkeit eingebüßt hat. Haas soll angeblich durch eine Freundin, die sich als Absorbierungshilfe einen Schwamm einführte, auf die Idee mit der gepressten Watte gekommen sein. Ihm gelang es jedoch nicht, seine Erfindung massentauglich zu machen.
Dazu musste erst eine Frau kommen … Gertrude Tendrich, eine Ärztin aus Denver, erkannte sofort, dass es sich bei dieser Idee um eine zukunftsweisende Innovation handelte und griff 1933 zu: Für damals 32.000 Dollar erwarb sie das haas’sche Patent und gründete die Firma Tampax. Anfangs hatten es die kleinen Hygienehelfer schwer, denn besonders die männlichen Apotheker zierten sich, Tampons offen zum Verkauf anzubieten. Doch die Emanzipation der Frau während der Zeit des Zweiten Weltkriegs und eine umfangreiche Frau-zu-Frau-Propaganda machten den Tampon langsam zum Verkaufsschlager.
Nach Deutschland kamen die Hygieneartikel „ohne Binde“ (O.B.) 1947/48, wie sollte es auch anders sein, durch den Ingenieur Carl Hahn und den Juristen Heinz Mittag. Unterstützt wurden die beiden allerdings von einer Person, die auch wirklich etwas vom Fach verstand: von der Frauenärztin Judith Esser Mittag. Diese erinnerte sich mit 88 Jahren zum 60-jährigen Jubiläum des Tampons in Deutschland im Jahr 2010 in einem Interview mit der Welt: „Mein Chef kam auf mich zu und sagte, da sind zwei Herren, die wollen den Tampon auf den deutschen Markt bringen. Aber sie haben noch viele Fragen: Wie groß? Wie dick? Wie lang? Wieviel muss er saugen können?“
Abb.3: Still aus dem ersten Tampon-TV-Werbespot in Deutschland
„Stets makellos … Freiheit in Sauberkeit“
Eine weitere Innovation der Vergangenheit, das Fernsehen, half beim Verbreiten des Hygieneartikels, doch erst einmal nur langsam: Entsprechende Werbung im Fernsehen war in Amerika noch bis 1972 (!) untersagt. Das erste Mal benutzte tatsächlich die „Friends“-Darstellerin Courteney Cox erst im Jahr 1985 (!!!) das Wort „period“ im amerikanischen Fernsehen in einem Tampax-Werbespot.
Die erste deutsche TV-Werbung für Tampax-Tampons wurde immerhin schon 1950 gesendet. Nach den einleitenden Worten „Stets makellos … Freiheit in Sauberkeit“ beobachtet man moderne Frauen bei der Arbeit, beim Tanzen und am Strand in ganz Europa dabei, wie sie sich das Wort "Tampax" zuraunen. Diese Bilder und der eingeschränkte Text wirken heutzutage eher lustig, damals standen sie allerdings für die selbstbewusste Frau, die sich von männlichen Empfehlungen emanzipiert. Sie arbeiten, rauchen, trinken Martinis und tragen schicke Kleidung und Bademode ohne sich zu rechtfertigen (Abb.3). Einziger Wehmutstropfen ist, dass die Blutung noch immer als „unsauber“ angesehen wurde … Der Spot endet mit dem Slogan „Vollendung der Frauenhygiene. Sicher und sauber.“
Abb.4: George Brecht, Patent F 3,011,495, Detail, Bildquelle hier
United States Patent F 3,011,495 ABSORBENT PRODUCT
Der in New York geborene George MacDiarmid, besser bekannt als George Brecht, war ein wichtiger Künstler der Fluxusbewegung. In den 50er Jahren studierte er zeitgleich Chemie und belegte Unterrichtsstunden im Zeichnen und in der Bildhauerei. In seiner Funktion als Wissenschaftler reichte er zwischen 1958 und 1961 mehrere Patente für ein verbessertes und undurchlässigeres „Absorptionsprodukt“ („This invention relates to tampons (…) which bend upon insertion into the vagina to provide an effective barrier to the flow of menstrual fluid“, Abb.4; Patent online siehe hier), das heißt, für eine verbesserte Version des Tampons, ein. Darauf folgte 1961 zusammen mit seinem Kollegen Donald R. Roberts eine Eingabe für einen „tampon applicator“, für eine Einführhilfe.
Diese und andere Erfindungen rund um den Tampon ließ sich Brecht nicht nur patentieren, sondern bestand darauf, dass sie Teil seines künstlerischen Schaffens seien und nahm sie in seinen Werkkatalog auf. Ist der Tampon also nicht nur eine innovative Errungenschaft der Wissenschaft, sondern ebenso Kunst? George Brecht hätte mit „Ja“ geantwortet, andere wohl nicht. Letztlich muss die Frage „Was ist Kunst eigentlich?“ offen bleiben.
Abb.5: Tampax-Werbung aus den 70er Jahren
Bild und Freiheit
Schon in frühen Tampax-Werbeanzeigen in amerikanischen Frauenmagazinen wurde Kunst bzw. die Bildwissenschaft zu Rate gezogen, um Tampons mit der Sehnsucht nach Freiheit zu bewerben. So zeichnet sich etwa 1965 neben einem Bild einer Frau am Strand auch die Vision aus Monets „Frau mit Sonnenschirm“, anmutig mit wehendem Haar in weißem Kleid auf grüner Wiese, im Kopf einer modernen Frau ab – beides Inbegriffe von Freiheit (Abb.1).
In einer anderen Printreklame aus den 1970ern (Abb.5) werden mit der aus dem Wasser steigenden Strandschönheit zudem Szenen aus James Bond-Filmen oder ähnlichen Produktionen rezipiert, wenn auch nicht so sexy wie Ursula Andress in „James Bond jagt Dr. No“ von 1962.
Heutzutage, im Zeitalter der Social Media-Ästhetik, verbreiten sich solche Bilder noch rasanter. Die neuen Plattformen erschaffen neue Künstlerformen, wie z.B. den „Instagram-Künstler“. Künstler ist, wer sich als solcher bezeichnet und mehr oder weniger künstlerische Fotos teilt, die bestenfalls besonders viele Likes erhalten. Eine eindrucksvolle Interpretation der Freiheit stiftenden Tampons ist der Instagram-Account der Texterin Rose Lambert-Sluder mit dem treffenden und vielsagenden Namen: Tampons in Beautyful Places (#tamponsinbeautyfulplaces, Abb.2 und Abb.6). Sie arrangiert Tampons wirkungsvoll an schönen Orten oder vor stimmungsvollen und witzigen Hintergründen und thematisiert so immer wieder Freiheit: Freiheit der Frau, der Gedanken, der Wünsche.
Abb.6: Screenshot, Instagram #tamponsinbeautyfulplaces
Enden möchte ich mit einem Dank an all diejenigen, die Ideen der Freiheit und Gleichberechtigung nicht nur entwickeln, sondern real werden lassen – zu Innovationen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.
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