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Kachel-Wunderwelt – Das Museu Nacional do Azulejo in Lissabon

Iris Haist

 

In ganz Lissabon begegnen dem Besucher heute die bunten Kacheln in verschiedensten Ausführungen: seriell hergestellt und handbemalt, als reine Dekoration und als Ausdruck eines künstlerischen Erbes, in U-Bahnen, an Häuserfassaden und natürlich gut konserviert in verschiedenen Museen der Stadt. Doch nur eines davon hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklung vor allem der portugiesischen Kachelkunst von ihren Anfängen bis heute aufzuzeigen und einem breiten Publikum zugänglich zu machen: das Museu Nacional do Azulejo – das Nationalmuseum der Kacheln. 

 

 

Im ehemaligen Klarissinnen-Kloster Madre de Deus (Mutter Gottes) wurde 1960 das Kachelmuseum eingerichtet. Ein geschickter Zug, denn dank der sowieso schon in situ vorhandenen, reichen Ausstattung der Kirche, der Balkoneinfassungen und anderer repräsentativer Räumlichkeiten mit den typischen blau-weißen Kacheln vor allem des 17. und 18. Jahrhunderts ist es der ästhetisch ideale Ort für ein solches Museum. In den historisch erhaltenen Räumen messen sich vergoldete Holzschnitzereien, Gemälde und die Kacheln miteinander und scheinen sich gegenseitig überstrahlen zu wollen. Insgesamt ergibt das einen für an deutsche Barockkirchen gewöhntes Auge ein ebenso ungewöhnliches wie reizvolles Bild. Ein Problem ist, wie so oft in älteren Gebäuden, auch hier die Klimatisierung.

 

 

Eines meiner Highlights in diesem Museum ist unter anderem das figurale Kachelmosaik einer Edeldame aus der Epoche des Barock. Figuren wie diese, meist allerdings männlich, wurden in der Zeit ihrer Entstehung an Eingängen oder Treppenaufgängen angebracht, um den Besucher des Hauses willkommen zu heißen. Für einen einladenden Ton sorgen der direkte Blickkontakt, eine offene Haltung und die Detailgenauigkeit der Gewänder, die näher betrachtet werden wollen.

 

 

Sehr beeindruckend – alleine durch die mehrfache Mannshöhe – ist das ehemalige Altarretabel der Kirche Nossa Senhora da Vida von ca. 1580. Die bunt bemalten Kacheln zeigen im unteren Bereich eine Anbetung Christi, flankiert von den Evangelisten Johannes und Lukas. Der obere Bereich wird von einer Verkündigungsszene eingenommen. Die Aussparung in der Mitte oben verweist auf ein ehemals an dieser Stelle angebrachtes Fenster, durch das die echten Lichtstrahlen fallen konnten und damit Teil der Szenerie wurden. Das "göttliche Licht" fiel auf den Gläubigen davor, verband diesen auch physisch mit den dargestellten Inhalten und erzeugte eine stärkere Einheit zwischen Bild und Betrachter sowie zwischen Innen- und Außenraum. 

 

 

Abschließend ist ein Gang (oder eine Fahrt mit dem Aufzug) in das zweite Obergeschoss ratsam. Dort ist ein einzigartiges Geschichtsdokument zu bestaunen: das 23 Meter lange Panorama der Stadt Lissabon vom Tejo aus gesehen. Dieses Kunstwerk aus den Jahren um 1700 erlaubte es durch seine detailgetreue Darstellung sämtlicher Lissaboner Sakral- und Profanbauten, die Stadt nach dem schweren Erdbeben 1755 in ihren Grundzügen wieder so aufzubauen, wie es zuvor einmal gewesen war. Noch heute ist die Vedute ein wichtiges Instrument für Historiker und Kunsthistoriker für die Rekonstruktion heute leider zerstörter architektonischer Situationen. 

 

 

Doch zwischen den Gebäuden tummeln sich auch deren Bewohner. Der Künstler (vermutlich Gabriel del Barco) versäumte es nicht, immer wieder Menschen in ihren alltäglichen Tätigkeiten zu zeigen. Ein schönes Detail ist zum Beispiel der im 16. Jahrhundert eingerichtete Mercado da Ribeira.

 

 

Doch Chronos ist unnachgiebig: Der Zahn der Zeit nagt an Kacheln und Bausubstanz. Ein eigens eingerichteter Bereich für die Restaurierungsarbeiten und das dafür eingestellte Team stellen sich jedoch nun schon seit mehreren Jahren diesem Problem und kämpfen mit allen verfügbaren Mitteln gegen den allmählichen Verfall des Kulturerbes. Was fehlt, ist natürlich das liebe Geld.

 

 

Eine große inklusive Leistung des Museums ist die beinahe völlige Barrierefreiheit im Ausstellungsbereich. Während viele Museen in historischen Gebäuden scheinbar keine Möglichkeit sehen, an den brisanten Stellen Rampen oder zumindest Handläufe zu integrieren, tut es das Museu Nacional do Azulejo einfach. Und obwohl diese Rampen natürlich nicht gerade besonders schön sind, vermögen es diese nicht, das altehrwürdige Ambiente des ehemaligen Klosters zu beeinträchtigen. Man übersieht sie einfach irgendwann. Zudem ist jede Museumsebene durch einen Lift zu erreichen.

 

Ein positives Feature sind die immer wieder aufgestellten Stationen mit befühlbaren Erklärungen. Blindenschrift und profilierte Keramikstücke oder die Nachstellung der Bildkomposition in 3-D erlaubt es auch Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit, die Geschichte der Azulejos zu erkunden. Doch auch für jeden anderen Besucher stellt die haptische Erfahrbarkeit dieser Stationen einen außergewöhnlichen Reiz dar.

 

 

Auch für das leibliche Wohl ist bestens gesorgt. Im Erdgeschoss befindet sich das Museumsrestaurant, wo man sehr schöne innen, noch schöner aber im Sommer draußen im Innenhof sitzen und sich für eine weitere Museumsrunde stärken kann. Ein Tipp für alle, die keinen allzu empfindlichen Magen haben: Bestellen Sie das Tagesgericht und vertrauen Sie dem Koch – es lohnt sich.

 

 

alle Fotos © Iris Haist

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